Freitag, 18. Juni 2010

Die Bike TransGermany 2010. Schlammschlacht zweiter Teil.

Die erste Etappe:
Von Garmisch-Partenkirchen nach Lermoos,
81,44km und 2154hm.

02.06.2010. Garmisch. Immer noch. Wir sind nach dem Zugspitz-Marathon gleich da geblieben, um die Zeit bis zum Start der TransGermany zu einem Kurzurlaub zu nutzen. Auf dem Plan standen ein paar lockere Runden mit dem MTB. Ohne Rennstress aber dafür mit Apfelstrudel und Kaiserschmarrn auf irgendeiner der vielen gemütlichen Hütten. Der Haken: es regnete weiter. Ununterbrochen. Die Touren mit Einkehrschwung? Fallen ins Wasser. Um mich auf die erste Etappe vorzubereiten, quäle ich mich mal für eine Stunde ins Freie – nass und vollkommen demotiviert komme ich zurück. Ich überlege ernsthaft abzureisen, und die TransGermany TransGermany sein zu lassen. Doch Swantje überredet mich, doch wenigstens zur ersten Etappe an den Start zu gehen. So stehe ich dann Punkt 10.00 Uhr im strömenden Regen im Startblock. Die Stimmung ist an Tristesse kaum zu überbieten – nur die leuchtenden Farben der vielen Regenschirme wirken irgendwie fröhlich. Blickt man in die Gesichter der Fahrer, ist von dieser vorgetäuschten Fröhlichkeit absolut keine Spur mehr zu sehen. Zu sicher ist, was uns erwartet: Regen, Schlamm, Kälte. Oben am höchsten Punkt der heutigen Etappe hat es 2°C. Brrrrrrrr. Der Moderator versucht gute Stimmung zu erzeugen – will die Arme der Zuschauer und Teilnehmer sehen. Viele rühren sich nicht – die Leute müssen die Schirme halten. Auftritt Uli Stanciu. Er sagt, dass es nass und kalt werden wird. Aha. Highway to hell. Dröhnt auch aus den Boxen. Und ab. Die Meute prescht los wie eine Büffelherde – denn jeder will am ersten Steilanstieg des Tages hoch zur Partnachalm vorne sein, um den sicheren Stau auf den hinteren Plätzen zu entgehen. Ich komme gut durch, kann mit Geschick und Glück dem ersten Massensturz entgehen und fahre sehr weit vorne in den Berg. Das Feld reißt sofort auseinander, dann wird es flacher und erste Gruppen bilden sich. Ich erwische leider eine, in der keiner wirklich das Tempo machen will. Am Ferchensee habe ich genug und versuche mich abzusetzen. Das klappt nach und nach, doch richtig nach vorne komme ich in der Folge auch nicht. So kämpfe ich mich mehr oder weniger allein hoch zur Ehrwalder Alm, durch dicht fallenden Regen von oben und Matschgespritze von unten.
Motivation? Mittlerweile auf dem Tiefpunkt.
Oben an der Ehrwalder Alm wird aus dem Regen Schneegriesel – ich denke zum wiederholten Mal an diesem Tag ans Aussteigen. Dann die Abfahrt ins Lermooser Moos. Es wird bitter kalt, nur gut, dass Handschuhe und Unterhemd winddicht sind. Ich rausche durch eine Kehre und sehe von oben plötzlich den Abzweig zur Straße nach Lermoos. Der Gedanken ans Aussteigen verfestigt sich, in 20 Minuten wäre ich im warmen Hotel. Doch es kommt anders: An der letzten Verpflegungsstelle direkt am Abzweig zur Straße steht Swantje, um mich zu verpflegen und mich anzufeuern. Und tatsächlich – sie schafft es, mich zum Weiterfahren anzutreiben. Also vergesse ich die Straße und nehme den letzten Anstieg des Tages in Angriff. Auf Teer geht’s steil hoch zur Tuftlalm, dann auf Schotter und endlich auch einem schönen Trail bergab in den Ort. Im letzten Trailstück kann ich noch einige Plätze gutmachen und komme als 31 der Masterswertung ins Ziel.
Sofort rolle ich ins Hotel und stelle mich mit den verschlammten Klamotten in die Dusche. Ich drehe nur den Warmwasserhahn auf – aber warm wird es mir nicht. Abend: wir suchen uns ein Restaurant zum Abendessen. Eine schlechte Pizza später bekomme ich auf dem Weg zurück ins Hotel erste Magenkrämpfe. Es fühlt sich nicht gut an. Dazu regnet es weiterhin Hunde und Katzen.




Die zweite Etappe:
Von Lermoos nach Pfronten,
74,7 km und 1863hm

2.00 Uhr. Ich wache auf, weil mein Magen zwickt und poltert. Sprint auf die Toilette. Beim Weg zurück ins Bett kurzer Stopp am Fenster – draußen schüttet es noch immer. Keine guten Aussichten. 5 Stunden später klingelt der Wecker. Müde kämpfe ich mich aus den Federn, von draußen ein mittlerweile nur allzu vertrautes Geräusch: Regen. Beim Gedanken ans Frühstück fängt es tief in der Magengrube wieder an zu poltern. Egal, ich muss was essen, wenn ich heute starten will. Aber will ich das wirklich? Eigentlich nicht. Andererseits: morgen soll das Wetter besser werden und ich liege ganz gut im Rennen. Ich vertage die Entscheidung, erst mal frühstücken. Wider Erwarten schaffe ich es sogar, eine klitzekleine Schale Müsli und eine Semmel runterzuwürgen. Kurzzeitig fühle ich mich besser, ich beschließe zumindest an den heute auf 11 Uhr verschobenen Start zu gehen. Knapp eine Stunde vorher breche ich auf – die netten Specialized-Jungs checken noch kurz Schaltung und Bremsen – und fahre mich ein. Solange ich locker rolle ist alles gut – sobald ich ein wenig Gas gebe, schießt der Puls nach oben und auch der Magen meldet sich deutlich. Mit keinem guten Gefühl reihe ich mich in den Startblock ein – direkt neben Leander, einen holländischen Racer, den ich mittlerweile von einigen Rennen kenne. Er ist genauso begeistert vom Wetter wie ich, kann aber noch Schokokuchen mampfen. Seinem Magen geht es also offensichtlich besser als meinem. Noch 5 Minuten bis zum Start. Uli verkündet die nasseste Etappe, die es je bei einer Trans-Germany gegeben hat. Nasser als gestern? Kann eigentlich nicht sein. 10 Minuten später weiß ich es besser: Direkt nach dem Start rasen wir in einen Bach, der eigentlich ein Radweg ist. Knietief steht er unter Wasser und ich bin schon wieder durch und durch nass. Egal. Mehr Sorgen machen mir nämlich Magen und Puls: mir ist mittlerweile kotzübel und der Puls ist weit im EB-Bereich – und ich drücke nicht mal aufs Tempo. Dann der erste Anstieg des Tages nach Berwang und plötzlich geht gar nix mehr. Ich werde zuerst langsam, dann muss ich ganz stoppen. Fahrer um Fahrer zieht an mir vorbei und ich denke – wieder mal – ans Aufhören.
Ich warte ein paar Minuten, hadere mit mir, dem Schicksal und dem Wettergott, dann sinkt der Puls ein wenig und ich beschließe weiterzufahren.
Neue Zielsetzung jetzt: einfach ankommen. Ganz weit hinten im Feld reihe ich mich wieder ein und fahre einfach mit. Jede Anstrengung darüber hinaus quittiert mein Körper mit einem üblen Brechreiz, selbst das regelmäßige Trinken muss ausfallen. So quäle ich mich über Rotlech-Stausee und Weissenbach hoch zum Adlerhorst. Immer wieder durchqueren wir reißende Bergbäche, die die Mitfahrer reihenweise verschlingen.
Ich komme sturzfrei durch und kann auf den Abfahrten einiges gut machen – hier hinten im Feld wird vorsichtiger und gemütlicher bergab gefahren als vorne. Am Fuß der Abfahrt schließe ich zu einer schnelleren Gruppe auf, die mich in der Folge durchs Tannheimer Tal zieht. Gemeinsam geht es weiter nach vorne und ich merke, dass Magen und Puls sich langsam stabilisieren – vielleicht geht ja doch noch was. Dann der letzte Anstieg rauf zum Lohmoos. Ich gebe noch mal alles und trete rein was das Zeug hält – immer schön bis zur Kotzgrenze. Im wahrsten Sinne des Wortes. Aber es zahlt sich aus. Ich kann viele viele Plätze gutmachen, erwische in der Abfahrt noch mal eine gute Gruppe und rette mich an diesem vermurksten Tag noch als 34 der Tageswertung Masters ins Ziel. In der Gesamtwertung habe ich sogar einige Plätze gutgemacht und liege jetzt auf 25. Unglaublich.




Die dritte Etappe:
Von Pfronten nach Sonthofen,
55,5km 1830hm

6.50 Uhr. Aufstehen nach einer weiteren aufreibenden Nacht. Das wirklich gute Abendessen in der Pension ist mir leider nicht bekommen. Der Magen zwickt wieder. Schlimmer als gestern. Immerhin: die Regenfront verzieht sich tatsächlich, scharf zeichnet sich die Wolkenkante des Schlechtwettertiefs ab, dahinter ist der Himmel tiefblau. Sonne. Endlich. Beim Frühstück kämpfe ich mit einem Käsebrötchen, mehr geht nicht. Dennoch bin ich heute guter Dinge. Gleich drei Anstiege warten und die Bolzerpassagen dazwischen halten sich in Grenzen und so was liegt mir eigentlich. Gut gelaunt rolle ich also zum Start – und treffe zum ersten Mal bei dieser TransGermany auf fröhliche Mitbiker. Überall lachende Gesichter, von Regenjacken, Regenhosen und Regenschirmen ist nichts mehr zu sehen. Highway to hell? Heute sicher nicht. Ich entledige mich noch schnell Bein- und Ärmlingen und schon schießen wir in einem Affenzahn raus aus Pfronten. Plötzlich „Wasser“ – ein Warn-Ruf, über den ich bisher nur herzhaft lachen konnte, aber diesmal ist er berechtigt. Wir rauschen in einem über die Ufer getretenen Bach und sind schon wieder bis auf die Haut durchnässt. Nur gut, dass es heute wirklich warm ist und nicht so saukalt wie die letzten Tage. Der folgende Anstieg rauf zur Buchelalpe wärmt zusätzlich. Bei mir läuft es heute Morgen gut und ich komme ziemlich weit nach vorne. Weiter rauf zur Schnitzlertal Alpe schieben wir durch knietiefen Matsch, dann geht es in die erste rasende Teerabfahrt des Tages. Unfassbar: Schon nach ein paar hundert Meter kommen die ersten Brocken von hinten an mir vorbeigerauscht. Bin ich so langsam unterwegs? Eigentlich komme ich mir relativ schnell vor. Kontrollblick auf den Tacho: 70 km/h. Merde.
Die nächste Gruppe rauscht vorbei, ich schaffe es noch nicht mal in den Windschatten.
Zack, weg sind sie. Der folgende Anstieg ist zu kurz, um wieder ein paar Plätze gutzumachen und in der folgenden Abfahrt bin ich komplett auf mich allein gestellt. Zusätzlich meldet sich auch der Magen wieder, trotzdem würge ich ein Gel runter und gehe wütend in den letzten Anstieg des Tages. 500 Höhenmeter, die ich nutzen will, um zu retten was zu retten ist. Wie am Vortag kann ich auch wieder ziemlich viele einsammeln, aber zu mehr als Platz 43 der Masterswertung reicht es heute nicht. In der Gesamtwertung habe ich aber nur einen Platz verloren, bleibe also unter den ersten 30. Prima. Genauso wie die Stimmung bei der Zielankunft. Es sind viele Zuschauer da und endlich kann man die Rennatmosphäre im Ziel auch mal voll und ganz genießen, ohne einen grausigen Kältetod befürchten zu müssen.




Die vierte Etappe:
Von Sonthofen nach Bregenz,
74,5 km und 1365 hm

Kuhglockengebimmel weckt uns schon sehr früh am Morgen. Ich schiebe den Vorhang zurück und sehe einen blauen Himmel. Kaiserwetter. Keine Wolke weit und breit. Heute erwartet uns also eine echte Hitzeetappe. Dazu viel – zu viel – Asphalt. Leider scheiterte die ursprüngliche Streckenführung an den Einsprüchen einiger verbohrter Grundstückseigentümer. Schade. Beim Frühstück meldet sich wie an jedem Tag mein Mager wieder. Nachdrücklicher heute. Ich schaffe wieder nur ein einziges Käsebrötchen, dann verabschiede ich mich von der unfreundlichen Pensionswirtin Richtung Start. Über einen netten Wiesentrail rolle ich nach Sonthofen, an richtiges Warmfahren ist nicht zu denken, denn mir ist mittlerweile richtig schlecht. Ich parke mein Bike im Startblock und beobachte die Fahrer um mich herum. Die Gespräche sind relativ eintönig. Entweder geht es ums Wetter oder aber um den Magen-Darm-Virus, der im Feld grassiert. Da könnte ich prima mitreden, stattdessen flitze ich aber zum wiederholten Male aufs Klo. Beim Rückweg präge ich mir noch mal genau die Fahrer ein, die in der Ergebnisliste nur knapp vor und hinter mir liegen – ich habe mir vorgenommen meinen Platz heute unter allen Umständen zu verteidigen. Das heißt vor allem: am Riedbergpass weit vorne dabei zu sein, um dann in der langen Abfahrt runter nach Bregenz eine schnelle Gruppe zu erwischen, um nicht wieder so abgehängt zu werden wie gestern. Noch mal Toilette, dann geht es auch schon los. Vorne weg ein paar Bürgermeister und Lokalpolitiker, die aber schnell zur Seite flüchten, als sie erkennen, welches Tempo vorne auch während der neutralisierten Startphase angeschlagen wird. Dann der scharfe Start. Ich hänge mich sofort an die beiden Fahrer, die in der Ergebnisliste direkt vor mir stehen. Die Gruppe läuft gut, ich mache selbst nix und lasse mich ziehen. Abzweig Riedbergpass, sofort wird es steil und die Gruppe zerfällt in ihre Einzelteile. Zusammen mit zwei anderen Fahrern kann ich mich nach vorne absetzen, meine direkten Konkurrenten fallen zurück. immer weiter kommen wir nach vorne, kurz vor dem Gipfel schaffen wir es zu einer etwa 10 Mann großen Gruppe aufzuschließen. Perfekt, die richtige Unterstützung für die lange Abfahrt. Gemeinsam rollen wir andere Fahrer und kleine Grüppchen auf, denen geht es jetzt so wie mir gestern und sie werden gnadenlos abgehängt. Dann die letzte Verpflegungsstation und der letzte Anstieg. Schon am Fuß erkenne ich zwei weitere direkte Konkurrenten und ziehe noch mal voll an. Ohne aufzutanken, der Rest in der Flasche muss reichen, gehe ich direkt vorbei und kann mich super schnell absetzen. Das sieht gut aus. Bis plötzlich klar ist: ich habe mich zusammen mit der Spitzengruppe verfahren. Umdrehen also. Das Dumme daran:
Wo eben noch vorne war, ist jetzt hinten.
Ganz hinten. Als wir wieder am Fuß des Berges sind, geraten wir mitten in die Meute des Feldes. Ausgerechnet hier, am einzigen Engpass der heutigen Etappe. Stau. Vor mir stehen Fahrer, die ich schon weit abgehängt hatte – verdammt, auch zwei meiner direkten Konkurrenten kann ich wieder vor mir sehen. Rechts und links schlagen sich Biker durch den Wald – ich ergebe mich dem Schicksal und bleibe auf dem Weg. Ist jetzt auch schon egal, reine Standzeit hier laut Tacho: 10 Minuten. Dazu sicher noch mal 10 – 15 Minuten, die dadurch verloren gehen, dass es im hinteren Teil des Feldes wirklich keiner eilig hat – und uns auch keiner vorbeilässt. In Trippelschrittchen und gemütlich plaudernd nehmen sie die letzte Passage bergauf in Angriff. Eigentlich lustig, für mich aber gerade ziemlich ärgerlich. Das Ziel, meine Platzierung zu verteidigen kann ich vergessen. Ich hoffe, dass ich wenigstens mein Minimalziel „Top 50“ noch erreichen kann. Dann wird der Weg endlich breiter und ich kann wieder fahren. Alleine nehme ich die letzten Kilometer runter nach Bregenz in Angriff, auf dem letzten Trail lasse ich es noch mal richtig krachen, überhole noch einige Mitstreiter zum zweiten Mal an diesem Tag, dann erreiche ich Bregenz. Rechts, links, dann kommt der Zielbogen in Sicht. Ich rolle ins Ziel, entdecke Swantje und mein Ärger über den Verfahrer verfliegt sofort und die Freude unter diesen Bedingungen überhaupt gefinished zu haben, stellt sich ein.

Eine halbe Stunde später: die erste Ergebnisliste wird ausgehängt. Platz 74 der Tageswertung. Gesamtrang steht noch nicht fest. Meine Hoffnung, zumindest einen Platz unter den ersten 50 gerettet zu haben, schwindet. Ich brauche sofort einen großen Trost-Eisbecher, dann brechen wir auch schon auf zum Tegernsee. Das Tegernsee-Bike-Festival wartet.

Einen Abend später: wir sind wieder in Frankfurt. Ich rase aufs Klo, Swantje geht an den Rechner. Ein paar Klicks später hat sie das Gesamtergebnis. Platz 30. Doch noch. Trotz Magen-Darm-Virus, trotz miesem Wetter und trotz den verdammten Extra-Kilometern auf der letzten Etappe . Cool.

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